Hunsrück Die deutsche Einwanderung in Brasilien
Die deutsche Einwanderung in Brasilien,
besonders im Staate Rio Grande do Sul vor 100 Jahren
von Eduard Junges, Rheinböllen
Aus dem Hunsrücker Heimatkalender von 1929
aus Anlass 100 Jahre Auswanderung 1924 nach Brasilien
Jeder Baum muss ein Erdreich haben, auf dem er wächst und gedeiht.
Auch jeder Mensch beansprucht ein Fleckchen Erde, auf dem er geboren wurde, auf
dem er seine Existenzmöglichkeit vorfindet, wo er leben und wirken kann.
Dieses Fleckchen Erde ist ihm darum lieb und teuer. Im engeren Sinne nennen wir es
Heimat, im weiteren Sinne des Wortes Vaterland. Solange der Mensch das Bewusstsein
hat, dass ihn die starken Arme der Heimat und des Vaterlandes tragen, fühlt er sich sicher.
Sobald aber Arbeitslosigkeit, vereint mit Unzufriedenheit wegen der herrschenden politischen Lage eintreten, stellen sich auch Pessimisten und Nörgler ein, die in den
Menschen das Selbstbewusstsein und das Vertrauen zu seiner und seines Vaterlandes
Kraft untergraben und ihm den „hellen Edelstein“ der Heimat- und Vaterlandsliebe zu
rauben suchen. In diesem fieberhaften Zustande befinden sich heute viele Menschen,
bei denen sich die feste Überzeugung eingenistet hat, nur durch eine Massenauswanderung kann uns verlassenen Deutschen geholfen werden. Solche Erscheinungen registriert die Geschichte nach dem Kriege vom 1870/71 und ganz besonders in der Zeit nach den Freiheitskriegen.
Am 25. Juli 1924 waren es hundert Jahre, dass die ersten deutschen Einwanderer ihren
Fuß auf riograndenser Boden und damit in die neue Heimat setzten.
In Brasilien beging man die Zentenarfeier besonders in den Südstaaten.
Das herrlichste Denkmal, das dauernd daran erinnern soll, ist die St. Josephs Jubiläumskirche
in Porto Alegre, die am 1. März 1925 durch den Erzbischof Dr. Becker feierlich
eingeweiht wurde. Wie unsere Landsleute das Andenken an die wackeren Pioniere, die
vor einem Jahrhundert den Grundstein zur heutigen Entwicklung gelegt haben,
feierten und dauernd in Ehren halten, so wollen auch wir im Mutterlande ihrer gedenken.
Es ist daher recht und billig, dass wir die Bande der Freundschaft und Zusammengehörigkeit, die uns mit den Deutsch-Brasilianern verbinden, enger schließen.
Für die ausgewanderten Deutschen kamen hauptsächlich die 3 Südstaaten Parana,
Santa Katharina und Rio Grande do Sul in Betracht. Diese 3 Staaten sind zusammen fast
so groß wie Deutschland. Die etwa 1000 km lange Ostgrenze bildet der Atlantische
Ozean. Diese Südstaaten sind im wesentlichenein Gebirgsland. Die Gebirgsketten erreichen eine Höhe von 1500 Meter. Das Küstenland selbst ist schmal. Die vorhandenen Flüsse sind meistens Nebenflüsse des Parana und des Uruguay. Regen fällt zu allen Jahreszeiten ziemlich reichlich, besonders im Juli und August. Der Übergang von einer Jahreszeit in die andere ist kaum bemerkbar. Schnee und Eis sind eine Seltenheit. In diesen Staaten hat nun der Deutsche Großartiges geleistet. Seine Muttersprache, deutsche Sitten und Gebräuche, deutscher Unterricht, deutsches Lied, deutsche Zeitungen, deutsche Vereine, überhaupt deutsches Volkstum sind bis heute nicht ausgestorben.
Fleiß, Zähigkeit und Ausdauer, Strebsamkeit und Sparsamkeit haben in überraschend
kurzer Zeit aus undurchdringlichem Urwalde fruchtbare, blühende Gefilde geschaffen.
Aber auch in der Industrie und Handwerk, im Klein- und Großhandel, in allen Betätigungs-
formen des heutigen Wirtschaftslebens hat der Deutsche durch seinen praktischen
Sinn, seinen Fleiß, seine Anpassungsfähigkeit vielfach Vorbildliches und Mustergültiges
geschaffen. Dabei hat er seine Schule und seine Kirche nicht vergessen.
Dankbar soll auch hier anerkannt werden, daß die Deutsch-Brasilianer für die Deutsche Not eine offene Hand hatten. Das hat sich hauptsächlich 1921 gezeigt, als die Vertreter der
Caritas, die hochw. Herrn Sommer und Kneip, die deutschen Kolonien in Brasilien bereisten.
Statistik der deutschen Einwanderung in Rio Grande do Sul
Nach P. Theodor Amstadt
1824 124 Personen
1825 908 Personen 1032
1826 828 Personen
1827 1088 Personen
1828 99 Personen
1829 1688 Personen
Vereinzelte 120 Personen 3823
1844 66 Personen
1845 85 Personen
1846 1515 Personen
1847-53 970 Personen 2636
Gesamtzahl 7491
Gründe der Auswanderung
Welchen Einfluss übt nicht das „Wandern“ auf uns, besonders auf die Jugend aus.
Wanderlust, Drang nach Erlebnissen, nach Abenteuern sind oft die Ursache des
Wanderns, bzw. des Auswanderns. Bei den Auswanderern vor 100 Jahren waren es
Wirtschaftliche und soziale Zustände, welche die großen Auswanderungen verursachten.
Durch die vielen Kriege, die jahrelang in den verschiedensten Gegenden Europas geführt
worden waren, hatte auch die rheinische Bevölkerung schwer gelitten. Das Volk war
verarmt; Ackerbau und Viehzucht vernachlässigt; die Arbeitslöhne standen tief und
Arbeitsverdienstmöglichkeit war gering.
Die Landwirtschaft lieferte geringe Erträge. Das Brot war teuer und das Geld sehr rar.
Der Name „Brotacker und Brotwiese“ in Rheinböllen erinnern an die große Armut
jener Zeit. Aus diesem Grunde heiratete oft nur der Älteste und die anderen Geschwister
blieben als Onkel und Tante im Hause, um gemeinsam die Familie durchzuschleppen.
Dazu beklagte man sich über die vielen Steuern und das Soldatsein unter den Preußen.
Und wer wanderte aus? Kleine Landwirte und Handwerker. Für einen „Thaler“ steigerte man die schönste Wiese oder einen großen Acker. Wollte der kleine Bauer auf einer
Versteigerung sich einige Morgen Land erwerben, so kam der Reiche und schnappte
sie ihm vor der Nase weg. Durch diese trostlose wirtschaftliche Lage der damaligen Zeit
war es ein leichtes, viele Einwohner zu überreden, nach Amerika auszuwandern
umsomehr, da listige Agenten die Verhältnisse in Amerika in den rosigsten Farben
schilderten.
Unwillkürlich wird man an Rottmanns Worte erinnert:
„Willst dau Hannes, noh Brasilie ziehe,
Wo deich Schlange unn die Affe kriehe?“
Oder
„Vor em Schaffe grauel nitt!
Denn dau siehst jo alle Ritt,
Datt die Faule nit bestehn
Und dann noh Brasilie gehen“.
Über den Entschluss und die Ausführung der Auswanderung
An einem Wintertage zu Anfang des Jahres 1828 ging mein Urgroßonkel Michel Junges
zu Itzbach bei Saarlouis nach Trier. Als er in der Abenddämmerung nach Haus zurückkehrte,
sagte er zu seiner Frau Barbara: „Mutter, erschrick nicht, wir gehen nach Brasilien“.
„Das ist dir doch nicht ernst!“ erwiderte die Mutter. „Ganz gewiss!“ entgegnete mein Urgroßonkel.
In Trier habe ich einen Mann aus Bremen getroffen, der sucht Leute für Brasilien, wohin
vor 4 Jahren die Hunsrücker ausgewandert sind. Der Kaiser von Brasilien schenkt jedem
272 Morgen Land und wohlgemerkt, die kosten keinen Pfennig. Wir bekommen für den
Anfang etwas Vieh und das notwendigste Ackergerät und Handwerkszeug und außerdem
wenigstens für ein Jahr den nötigen Unterhalt, bis wir uns selber etwas eingerichtet haben.
Allerdings die Überfahrt müssen wir aus unserer eigenen Tasche bezahlen. Die Überfahrt
kostet für einen Erwachsenen 60 Thaler und für ein Kind unter 12 Jahren die Hälfte.
Dafür aber bekommen wir 272 Morgen Land, brauchen 10 Jahre keine Steuern zu zahlen
und auch keinen Militärdienst zu tun. Nein, Bäb (Barbara), da müssten wir ja auf den Kopf
gefallen sein, wenn wir nicht mit beiden Händen zugreifen wollten! Hier nimmt das
Steuerzahlen kein End und unsere Jungen nimmt der Preuß! Die nächste Woche kommt
der Mann aus Bremen hierher und dann wird der Kontrakt schriftlich gemacht“.
Während der Vater seine Auswanderungspläne entwickelte, schwieg die Mutter.
Die älteste Tochter schmiegte sich an die Mutter, und die Buben hörten aufmerksam zu;
Denn als sie schlafen gingen, sagte der 10jährige Anton zu seinen jüngeren
Brüdern: „Habt ihr gehört, was der Vater gesagt hat? Das gibt was Feines!“ In der nächsten Woche kam der Agent, ein Jude, aus Bremen. Der Vertrag wurde
abgeschlossen; auch sorgte der Agent, dass sich bald ein Käufer für das Anwesen einstellte.
Der Hausrat, der nicht mitgenommen wurde, kam zur Versteigerung.
Im Monat Mai 1828 wurde nun die Reise
nach Bremen per Achse gemacht, und zwar von Saarlouis nach Trier, durch die Eifel nach
Köln, dann quer durch Rheinland, Westfalen und Hannover. Nach 4 wöchiger Wagenreise
kamen die Auswanderer am 21. Juni 1828 in Bremen an. Dort mussten wir zirka 13 Wochen
liegen bleiben, bis ein Schiff nach Brasilien fuhr. Nachdem sie mit einem kleinen Boote
bis Bremerhaven gebracht worden waren, bestiegen sie dann den Dreimaster „Olbertz“ für
die weite Fahrt. Das Schiff hatte 875 Auswanderer an Bord. Am 26. September 1828
erfolgte dann die beschwerliche, auch nicht ungefährliche Reise übers Meer. Die Fahrt ging
an England vorbei, wo das Jahr zuvor ein Schiff mit Auswanderern Schiffbruch gelitten
hatte. Diese Leute mussten in Plymouth (pliemöß) warten, bis ein anderes Schiff für sie
bereit war. Weil nun die Auswanderer meinten, der Kapitän sei an ihrem Unglück schuld, so waren sie nicht gut auf ihn zu sprechen. Als er daher eines Tages in Plymouth in der Nähe
vorbeiging, wo die Frauen der deutschen Auswanderer wuschen, da stürzten sich die
Waschweiber auf den Kapitän und prügelten ihn mit der nassen Wäsche gehörig durch
zum großen Spaß der Engländer. Die Auswanderer auf dem Dreimaster „Olbertz“ hatten
sich ältere Leute zu ihren Vorstehern gewählt. Als solcher wird auch Mathias Burg aus
Burg an der Mosel genannt. Diese Vorsteher mussten die Klagen der Auswanderer dem
Kapitän vorbringen und für Abhilfe sorgen. Ein solches Ereignis trat für die Auswanderer
ein, als das Schiff den Aequator passierte. Die Auswanderer bekamen nur wenig und
schlechtes Wasser, so dass viele Leute erkrankten. Die Vorsteher wandten sich an den Kapitänund baten um Abhilfe. Dieser wurde bös und ließ eine geladene Kanone vor seiner
Kajüte aufstellen, um den Leuten Angst zu machen. Da sich aber die Leute nicht einschüchtern ließen, gab der Kapitän nach, und die Leute erhielten mehr und auch
besseres Wasser. Etwa 13 Wochen dauerte die Überfahrt, so daß die Leute nichts wie
Himmel und Wasser sahen. 47 Auswanderer, hauptsächlich Kinder starben; es wurden
aber ebenso viele geboren, so dass die ursprüngliche Zahl voll blieb. Am 17. Dezember
1828 kamen die Auswanderer in Rio de Janeiro an, wo sie 7 Wochen blieben. Nachdem sie
10 Monate von Hause fort waren, konnten die Auswanderer am 10.März 1829 den
Boden betreten, wo sie ihre neue Heimat gründeten.
Die erste Zeit in der neuen Heimat
Viele Auswanderer waren nun der Meinung, es ginge jetzt geradewegs zu den 272 Morgen
Land, die jede Familie bekommen sollte. Nun erlebten sie die erste große Enttäuschung.
Schon damals hieß es: paciencia allemao, Geduld Deutscher, du bist jetzt nicht mehr
in Preußen, sondern in Brasilien! Nachdem sie mehrere Tage in Porto Alegre herumgelungert
hatten, ging es auf Booten (Lauchas) den Sinosfluß hinauf, bis in die Nähe der erst von Deutschen neu erbauten Stadt Sao Leopoldo, wo erst ein paar Häuser standen. Heute ist
Sao Leopoldo so groß wie Kreuznach. Nachdem sie dort 2 Tage zugebracht hatten, gings
weiter zu der kaiserlichen Domäne-Stanz-Feitoria Velha, wo für die neu angekommenen
Einwanderer Holzhütten aufgeschlagen waren. Beinahe ein ganzes Jahr mußten sie sich
auf der kaiserlichen Domäne aufhalten, ehe man ihnen die 272 Morgen Urwald anwies.
Endlich nach langem Hangen und Bangen ging es an die Verteilung der Kolonielose.
Man wählte drei verschiedene Ausgangspunkte, die etwa 6600 Meter = 1 Legua voneinander
lagen. Von diesen aus schlug man von Süden nach Norden den Urwald auf. Solch
aufgehauenen Waldweg nennt man Schneise. Auf diesen provisorischen Waldwegen
setzte man in Abständen von je 220 Meter = 100 Brassen – einen Markstein. Damit war
rechts und links in dieser Schneise für je einen Kolonisten ein Grundstück angemerkt,
das 220 Meter breit und 3300 Meter lang war, somit 72-75 Hektar oder 288-300 Morgen
Urwald aufwies. Den Auswanderern war ja 272 Morgen versprochen worden. Die ganze
Reihe von diesen Grundstücken oder Kolonielosen nannte man Schneis oder Pikade.
Weil nun die Lose rechts und links von beiden Waldwegen lagen, so bildete diese eine
Doppelschneis oder Doppelpikade. Die deutschen Kolonisten benannten nun die Schneis
nach der Familie, die am Eingang wohnte. Wie schon erwähnt, wurden drei Schneisen
für die Ansiedlung der deutschen Kolonisten vermessen. Die eine hieß nach dem ersten
Bewohner Baumschneis oder Linha dos Dois Irmaos (Linie der zwei Brüder) so genannt
nach 2 Bergkuppen, die in der Pikade lagen. Die mittlere hieß nach dem ersten Bewohner
Berghanerschneis oder Bom Jardin (schöner Garten) von einer in der Nähe liegenden
Niederlassung eines Brasilianers. Die dritte Schneis oder Pikade erhielt nach der im Eingang
wohnenden portugiesischen Familie den Namen „Portugieserschneis“ oder Linha do
Hortensio = Tabakslinie. In dieser Portugieserschneis wohnten hauptsächlich die vom
Hunsrück, von der Mosel und von der Saar, also mein Urgroßonkel Michel Junges aus
Itzbach bei Saarlouis, Matthias Franzen aus Pünderich und Jakob Tatsch aus Raversbeuren.
Die ersten Arbeiten auf der Kolonie
Die Auswanderer bekamen von der brasilianischen Regierung Aexte, Waldmesser auch
„Buschsichel“ genannt und Hacken; von dem versprochenen Vieh bekamen sie jedoch
nichts zu sehen. Die Männer und Jüngline ließen nun ihre Familienangehörigen auf
der kaiserlichen Domäne, Stanz genannt, zurück und gingen zum Roden auf ihr
Kolonielos. Zunächst wurde mit der Buschsichel das Unterholz abgeschlagen, dann
gings an das Fällen der Urwaldbäume. Solche Urwaldriesen, die oft drei Mann nicht
umspannen können, zu Falle zu bringen, ist keine Kleinigkeit und erfordern jedes Jahr
Opfer an Menschenleben. Diese Stämme ließ man nach dem Fällen ruhig liegen.
Hatte man so in zirka 4-5 Wochen einen Morgen geschlagen, so steckte man das Gewirr
an. Das Unterholz, die dichten Schlingpflanzen, Aeste, Zweige und dünnen Stämme
verbrannten. Was die Axt verschonte, fraß das Feuer. Daß das Feuer im Laubwald
weiterfraß war wegen der großen Waldfeuchtigkeit nicht zu befürchten. Eine solche frisch
abgebrannte Rodung heißt Roca. Darin wurde nun Weizen, Korn, Mais „Milho“ genannt,
Gemüse, Erdnüsse, und Linsen gesät und Kartoffeln gesetzt. In einem solchen frischgebrannten Waldboden gedieh nun alles üppig. Sobald nun die unverbrannten
Baumstämme und Stümpfe überwachsen waren, kam auch die Lust zur Arbeit.
Die gefällten Baumstämme hat man dann später zu Bohlen verschnitten und beim
Häuserbau verwendet. Von Zeit zu Zeit kehrten die Männer und jungen Burschen zu
ihren Familienangehörigen auf die Stanz zurück. Die auf der kaiserlichen Stanz ansässigen Kolonisten hatten dann in der Zwischenzeit die neuen Kolonistenfrauen unterstützt und
belehrt. In der ersten Zeit der Rodung richtete sich der Kolonist seine Wohnung unter einem
dichten Dach eines Urwaldriesen ein. Zuerst bildeten die mitgebrachten Kisten die ersten
Möbel im neuen Heim. Von der kaiserlichen Stanz nahm man nach kurzer Zeit die
Familien auf die Roca, und nun baute man Laubhütten. Dünne Stämme und Bambusrohre
wurden in Zeltform zusammengestellt und mit den riesengroßen Blättern der Palmen
gedeckt. Ringsherum wurde ein Graben gezogen und die aufgeworfene Erde um die Hütte
aufgetürmt, um dem Ungeziefer und den Schlangen den Eingang zu wehren. Schlangen
wie Scharaken, Feuer- und Klapperschlangen, faustgroße Vogelspinnen, Skorpione
und Tausendfüßler, Ameisen, besonders Termiten und das große Heer der Wanderheuschrecken sind die Feinde der Kolonisten im Urwald. Dazu kamen vor
100 Jahren noch die Indianer, Buger, die manche Kolonistenfamilie ermordeten. Wurde die
Lichtung etwas größer, so baute sich der Kolonist eine Holzhütte „Rancho“ genannt, aus
Balken und Brettern und die Wände aus Geflecht mit Lehm verschmiert.
Das Dach wurde mit Schindeln bedeckt. Nach 10-15 Jahren wurde dann aus selbstverfertigten Ziegeln ein Steinhaus errichtet. Bemerkenswert ist,daß die
Nachkommen der Hunsrücker noch heute die Ziegelhäuser bauen, die sie mit
Backsteinen ausmauern. Wegen der Feuergefahr ist die Küche meistens vom Hause
getrennt. Der erste Herd war eine kleine Grube fürs Feuer, daneben wurden zwei gabelförmige Aeste in die Erde gesteckt, ein dritter kam quer darüber und daran hing
der Kessel.
Das erste, worauf die Kolonistenfrau drängte, war die Anlage eines Backofens, der aus
Lehm hergestellt wurde. Die aus Deutschland mitgebrachten Kleider, der Hausrat und das
Küchengeschirr wurden sorgfältig geschontund in Ehren gehalten; denn wie sollte
man im Urwald Ersatz beschaffen, fehlten doch die meisten Handwerker, und wenn solche
vorhanden waren, so wohnten sie stundenweit voneinander. So mußte jeder, mochte er können oder nicht, ein Tausendkünstler sein. Von meinem Großonkel wurde mir berichtet,
daß er Tischler, Wagner, Maurer, Schmied, Schiffsbauer, Architekt, Schuster, Schneider,
Pferdebändiger, Knochenflicker, Salbenkocher, alles in einer Person war. Zum Einkaufen gabs
später auf der Stanz ein kleines Kaufhaus „Venda“ genannt. Wegen des Geldmangels hatte
man damals noch nicht viel aus der Venda zu holen. Von den Haustieren, die sich die ersten
Auswanderer anschafften, sind zu nennen: die Hühner, Schweine, Rinder, Pferde und Hunde.
Hunde sind zur Bewachung unerläßlich. Futter wächst reichlich. Wollte man mit seinen
Nachbarn verkehren oder zur Venda, dem Warenhaus gelangen, so bediente man sich eines
Pferdes. Die Kinder lernten von Jugend an reiten. Und heute ist es noch so Brauch, daß
man selbst zur Schule und zur Kirche reitet. Bei allen Ausritten nahm man die Jagdflinte mit,
weil es immer etwas zu jagen gab. Leider spielen die Schußwaffen bei der heutigen brasilianischen Jugend eine große, aber auch gefährliche Rolle.
Ausgewandert aus der Bürgermeisterei Rheinböllen nach Brasilien
2. 4. 1845 Gättnauer Matthias, aus Kleinweidelbach mit Frau und 4 Kindern 6 Seelen
2. 4. 1845 Gättner Johann, aus Kleinweidelbach mit Frau und Kind 3 Seelen
2. 4. 1845 Roetz Anton, Argenthal mit Frau und 3 Kindern 5 Seelen
2. 4. 1845 Neumann Johann, Argenthal Witwer mit 2 Kindern 3 Seele
2. 4. 1845 Weber Balthasar, Argenthal mit Frau und 3 Kindern 5 Seelen
2. 4. 1845 Eberhard Jakob, Argenthal mit Frau und 4 Kindern 6 Seelen
2. 4. 1845 Reitz Michel, Argenthal mit Frau und 1 Kind 3 Seelen
2. 4. 1845 Kappmann Peter, Argenthal mit Frau und 4 Kindern 6 Seelen
10. 4. 1845 Pira Joseph, Rheinböllen mit Frau und 2 Kindern 4 Seelen
10. 4. 1845 Hill Philipp, Liebshausen mit Frau und 6 Kindern 8 Seelen
10. 4. 1845 Grings Nikolaus, Liebshausen mit Frau und 1 Kind 3 Seelen
10. 4. 1845 Rippel Witwe, Liebshausen 1 Seele
10. 4. 1845 Littger Andreas, Liebshausen mit Frau und 3 Kindern 5 Seelen
10. 4. 1845 Ohlweiler Matthias, Riesweiler, mit Frau und 10 Kindern 12 Seelen
10. 4. 1845 Plenz Anton, Argenthal mit Frau und 1 Kind 3 Seelen
15. 4. 1845 Sindorf Wilhelm, Argenthal unverheiratet 1 Seele
15. 4. 1845 Neumann Margaretha, Argenthal mit einem Kind 2 Seelen
22. 4. 1845 Müller Matthias, Erbach mit Frau und 4 Kindern 6 Seelen
22. 4. 1845 Blum Kasper, Erbach mit Frau und 2 Kindern 4 Seelen
22. 4. 1845 Nikodemus Johann, Argenthal mit 2 Kindern 3 Seelen
28. 4. 1845 Schaeffer Nikolaus, Argenthal mit Frau und 5 Kindern 7 Seelen
29. 4. 1845 Sindorf Heinrich, Argenthal mit Frau und 1 Kind 3 Seelen
29. 4. 1845 Weber Wilhelm, Argenthal mit Frau und 2 Kindern 4 Seelen
103
Ohne Entlassungsurkunde sind ausgewandert
Neumann Johann, Wilhelm und Peter aus Argenthal 5
Sindorf Veronika aus Argenthal 1
Nikodemus Katharina aus Argenthal 1
Seckler Eva aus Dichtelbach 1
Merkel Witwer aus Rheinböllen 5
13
9.4.1847 Volkweis Peter Paul aus Arenthal mit Familie nach Brasilien
7.6.1846 Jerunofsky aus Dichtelbach verheiratet mit Frau und 3 Kindern nach Brasilien
17.4.1847 Kappes Johann aus Dichtelbach mit Familie nach Brasilien
Die Auswanderer
Von P. Matth. Joseph Gansweidt in Poco das Antas
Kleine Bauern, Handwerksleute Wohl! Der Deutsche hat´s bestanden
Und noch andere Leidsgenossen, Mit Vernunft und flinken Händen:
Die da darbten an der Mosel, Hunderte von Paradiesen
Auszuwandern sich entschlossen. Blühten auf an allen Enden.
„Nach Brasilien!“ klang die Losung, Und das Häuflein wuchs zum Haufen,
Nach dem Paradies im Westen, Wuchs empor zu reichem Volke,
Wie mit gold`nen Pomeranzen Dank der Stahlkraft seiner Glieder
Sich die faulen Tiere mästen! Dank dem Segen aus der Wolke.
Kasten schwer und bange Herzen Wo in Dickicht einst gekrochen
Schleppen sie zum Segelschiffe;- Raubgezücht und Giftgewürme,
„Herr, nun lenke du die Schale! Blinken heut bebaute Flächen,
Denn du kennst Gestad und Riffe.“- Grüßen schlanke Kirchentürme.
Böses Wetter! Sturm und Wogen. Schwerbelad`en Züge rollen,
Landen wir? – Ach, wer es wüßte! - Vollgestaute Schiffe rauschen,
Endlich nach vier Duzend Wochen Zwischen Schneis und Port Alegre,
Winkt am Himmelsrand die Küste. Geld und Waren auszutauschen.
Dunkles Volk begafft die Fremden, Kirchen krönen Berg` und Täler,
Fragend: „Wollt ihr was, ihr Weißen?“ Glaubenstreue zu bekunden;
„Ei wir wollen Urwald hauen Spiel und Sport, Gesang und Künste
Und dann pflanzen in den Schneisen.“ Schmücken aus die Feierstunden.
Toren! fletscht der Neger spöttisch; Ein Jahrhundert ist verronnen,
„Narrheit“ höhnt der braune Mahner, Seit hier deutsche Aexte klingen,
„Bös Getier durchkreuzt die Wälder; Seit am Bache blonde Mädchen
Schlangen, Tiger, Indianer.“ Hier der Mosel Lieder singen.
Ja, es war ein hartes Ringen Ein Jahrhundert, seit die Fremden
Mit Gestrüpp und Urwaldriesen, Dieses schöne Land bebauen
Mit der Raubkatz, mit dem Buger Und nach tausend Müh` und Plagen
In verheiß`nen Paradiesen. Ihres Fleißes Früchte schauen.
Hartes Ringen mit der Armut Wachse weiter, wacker Völklein,
Bei versumpften Waldeswegen – In gesegneten Familien!
Doch entbehrten sie noch tiefer Wachs` im Glauben, wachs` im Glück
Sakrament und Priestersegen. – Eine Zierde für Brasilien!